ÜSB INKLUSIV – erster Arbeitsmarkt trotz Förderbedarf Geistige Entwicklung : Datum:
Jugendliche mit geistiger Behinderung besuchen nach der Schulzeit meist eine Werkstatt für behinderte Menschen. Das Modellprojekt ÜSB-INKLUSIV (Übergang Schule – Beruf INKLUSIV) in Schleswig-Holstein zeigt, was eine individuelle Unterstützung ermöglichen kann.
Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) tragen zur Segregation von Menschen mit Behinderungen bei und widersprechen damit in vielen Teilen dem Grundsatz der Inklusion. Bundesweit sind über 300.000 Menschen mit Behinderungen in Werkstätten beschäftigt, 75 Prozent davon mit geistiger Behinderung (siehe rehadat-statistik.de). Für viele von ihnen ist die Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich, wenn sie die notwendige Unterstützung erhalten, wie beispielsweise durch das Projekt ÜSB INKLUSIV in Schleswig-Holstein.
Die UN-Behindertenrechtskonvention betont in Artikel 27 das gleiche Recht auf Arbeit. Auch Menschen mit Behinderung können auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden oder eine Fachpraktikerausbildung nach § 66 Berufsbildungsgesetz (BBiG) / § 42r Handwerksordnung (HwO) schaffen.
Berufliche Perspektiven erkennen
„Schleswig-Holstein hat sich in den Bereichen Inklusion und Berufliche Orientierung stets besonders engagiert“, betont Martina Fey vom Ministerium für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein. Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention hat das Ministerium das Modellprojekt ÜSB-INKLUSIV entwickelt. Jugendlichen mit Förderbedarf im Bereich Geistige Entwicklung (GE) ermöglicht das Projekt, sich selbstbestimmt für eine berufliche Beschäftigung zu entscheiden – für eine Arbeit in der WfbM oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. „Die Evaluation nach dem ersten Projektjahr hat gezeigt, dass fast die Hälfte der Schulabgängerinnen und Schulabgänger eine berufliche Perspektive außerhalb einer Werkstatt für behinderte Menschen findet“, sagt Fey.
In inklusiven Kooperationsmaßnahmen, an denen acht Förderzentren GE beteiligt sind, können die jungen Menschen eine Perspektive erproben und entwickeln – mit Unterstützung der Integrationsfachdienste (IFD). Diese Berufsorientierung findet an zehn berufsbildenden Schulen statt, die Jugendliche mit und ohne Behinderung besuchen. Der Wechsel an die berufsbildenden Schulen, die von Jugendlichen mit und ohne Behinderungen besucht werden, wird in der Evaluation des Projektes überwiegend positiv bewertet – besonders die alltagspraktischen Fähigkeiten, die Arbeitsmarktorientierung, die Persönlichkeitsentwicklung und die soziale Inklusion der Teilnehmenden.
Integrationsfachdienste übernehmen als Projektträger in Modulen definierte Aufgaben zur Unterstützung der Jugendlichen am Übergang, für welche den Lehrkräften keine Zeit zur Verfügung steht. Was im Anschluss an die Schulzeit möglich ist, besprechen sie sowohl mit Schülerinnen und Schülern als auch mit Eltern und Lehrkräften.
Eine individuelle Begleitung ist wichtig, da die Potentiale bei Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen im Bereich der geistigen Entwicklung sehr unterschiedlich sind. ÜSB-INKLUSIV bietet intensive Unterstützung: Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen für den Beruf werden in der Schule vermittelt; Praktika erleichtern die Berufswahl. Die Projektmitarbeitenden der IFD suchen passende Praktikumsplätze, begleiten und unterstützen die Jugendlichen während des Praktikums und beraten Betriebe. Im ersten Projektjahr fanden 75 Prozent der Praktika auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt statt, vorwiegend im Handwerk.
Integrationsfachdienste und Zusammenarbeit als Erfolgsgaranten
Träger des Projekts sind vier Integrationsfachdienste in Kiel und Lübeck sowie in den Kreisen Schleswig-Flensburg und Segeberg. „Der Übergang in den Beruf von Jugendlichen mit besonderen Bedarfen gelingt am besten mit Personal, das sich mit Förderungen und dem Sozialgesetzbuch auskennt und weiß, was Menschen mit Behinderungen benötigen“, erklärt Fey. Integrationsfachdienste haben in Deutschland die Aufgabe, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Daher sind sie entscheidend für den Projekterfolg.
„Wesentlich ist auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren“, hebt Fey hervor. Kommunale Projektkoordinatoren der Eingliederungshilfe übernehmen die regionale Koordinierung und Vernetzung. Sie fungieren als neutrale Schnittstelle zwischen Schulen, IFD, Schulämtern, Reha-Beratung, Jugendberufsagentur, Integrationsamt und Bildungsministerium.
Coaching-Module
Die Arbeit der IFD mit den Schülerinnen und Schülern in der Schule und in Praktikumsbetrieben beschreiben sieben Coaching-Module. Zu den Coaching-Modulen werden Lernziele definiert und individuell passende Einzelmaßnahmen zum Erreichen der Ziele ausgewählt.
Das erste Modul gibt einen Überblick über Berufsfelder und deren Tätigkeiten. Der IFD stellt Beschäftigungsmöglichkeiten in Berufen vor, die für die Jugendlichen besonders interessant und geeignet sein können. Zudem weist er darauf hin, was die Betriebe erwarten. In dem zweiten Modul ermitteln die Jugendlichen ihre persönlichen Stärken und Interessen. Die Berufswegeplanung ist Schwerpunkt des dritten Moduls. Jede Schülerin und jeder Schüler erstellt mit Unterstützung durch den IFD einen persönlichen „Berufswahl-Fahrplan“, also eine Zeitachse mit Terminen für Betriebserkundungen, Praktika, Berufswegekonferenzen, Bewerbungen etc.
Ein wichtiger Termin ist die Berufswegekonferenz, die der IFD mit den Jugendlichen vorbereitet. Einmal im Jahr wird in der Schule rechtskreisübergreifend über die berufliche Perspektive von jeder Schülerin und jedem Schüler gesprochen – gemeinsam mit der Reha-Beratung der Arbeitsagentur, Lehrkräften, Eltern, dem IFD und ggfs. der Eingliederungshilfe. Grundlage der Besprechung sind die Stärken und Interessen und die absolvierten Praktika.
Der IFD zeigt auf, welche Möglichkeiten im Hinblick auf die berufliche Zukunft sinnvoll sind. Dies können die Unterstützte Beschäftigung sein, der Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen, die betriebliche Berufsbildung außerhalb der Werkstatt für behinderte Menschen, eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme oder eine Fachpraktiker- oder Regelausbildung mit ausbildungsbegleitender Unterstützung. Darüber hinaus berät der IFD auch über die Wahlmöglichkeiten des Persönlichen Budgets, des Budgets für Arbeit und des Budgets für Ausbildung. Bei unrealistischen Berufswünschen sucht der IFD nach Alternativen.
Das vierte Modul umfasst die Akquise von passenden Praktika sowie die Begleitung, Vor- und Nachbereitung durch den IFD – möglichst auf dem ersten Arbeitsmarkt. Der IFD zeigt den Jugendlichen mit einem zielgerichteten Mobilitätstraining, wie sie den Praktikumsbetrieb gut erreichen, und informiert die Betriebe über Besonderheiten der sonderpädagogischen Förderschwerpunkte.
Bei dem fünften und sechsten Modul stehen Bewerbung und Berufsfelderprobung zur Erhöhung der Bewerbungskompetenz sowie ein zielgruppenorientiertes Bewerbungstraining auf dem Plan. Auch eine Begleitung bei Vorstellungsterminen ist möglich. Betriebe berät der IFD über mögliche finanzielle Leistungen, die einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz sichern können.
In dem siebten Modul werden die sozialen, personellen und fachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler weiterentwickelt und stabilisiert. Den Eltern bietet der IFD Beratung zu verschiedenen Themen an: anerkannte Schwerbehinderung, Nachteilsausgleich, Gleichstellungsverfahren durch den IFD, Antragsstellungen. Auch die Begleitung weiterer Betriebspraktika ist möglich sowie die Begleitung bei Terminen mit der Reha-Beratung der Agenturen für Arbeit, der Jugendberufsagentur und anderen Beratungsstellen. Nach der Schulentlassung kann eine Nachbetreuung der Jugendlichen durch den IFD in Anspruch genommen werden, damit der Übergang in Ausbildung und Beruf gelingt.
Förderung und ergänzendes Projekt STEP
ÜSB-INKLUSIV wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Initiative Bildungsketten vom 1. August 2021 bis 31. Juli 2025 gefördert. Das Projekt ist mit dem Handlungskonzept STEP (Selbsteinschätzung, Training, Entwicklung, Perspektive) verzahnt, das sich an benachteiligte Schülerinnen und Schüler der Flexiblen Übergangsphasen richtet sowie an Jugendliche mit körperlichen und anderen Schwerbehinderungen.
Links
Bildungsketten-Vereinbarung von Schleswig-Holstein
Handlungskonzept STEP (Selbsteinschätzung, Training, Entwicklung, Perspektive)
Integrationsfachdienste in Schleswig-Holstein
Jahresbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM)